Der Raum als dritter Pädagoge
Hat die Gestaltung von Schulraum Einfluss auf den Lernerfolg? „Ja“, sind sich viele Expertinnen und Experten sicher. Der Neubau der Astrid-Lindgren-Schule in Lemgo gilt als eines der pädagogischen und architektonischen Vorzeigeprojekte.

Entlang hallender Flure reiht sich eine schwere, nummerierte Tür an die nächste. Dahinter Klassenräume: Vorn eine Tafel, davor ein Pult, links daneben ein Overhead-Projektor, dahinter ordentlich aufgereihte Tisch- und Stuhlreihen – wenn wir an Schule denken, dann haben wir meist dieses Bild vor Augen. Dabei hat Loris Malaguzzi, einer der Begründer der frühkindlichen Reggio-Pädagogik, bereits in den 1960er-Jahren Alternativen zur klassischen Flurschule und zum Frontalunterricht erdacht, die die Opposition zwischen Vortragenden und Zuhörenden, Lern- und Freizeit, Einzel- und Teamarbeit aufzulösen versuchten. Malaguzzi prägte den Begriff vom „Raum als dritten Pädagogen“ und forderte mehr Flexibilität des Schulraums. Seine Ideen stießen international auf großes Interesse – sowohl in der Pädagogik als auch in Politik und Architektur. Mit dem Ziel, die Kreativität der Lernenden zu fördern, wurden Schulen mit offenen Raumkonzepten gebaut, die zum Teil fast vollständig auf trennende Wände verzichteten. Durchsetzen konnten sie sich bis auf wenige Ausnahmen nicht. Neben der Lautstärke waren es vor allem die nicht an die neuen Räumlichkeiten angepassten Lehrpläne und die mangelnde Einbeziehung der Lehrenden in den Schulplanungsprozess, die vorerst für ein Ende der sogenannten „Lernlandschaften“ sorgten.

 

Ganz anders verlief es beim Neubau der Astrid-Lindgren-Schule samt Berufsförderzentrum im nordrhein-westfälischen Lemgo – wohlgemerkt rundein halbes Jahrhundert später. „Unser Schulträger hat uns positiverweise von Beginn an in den Planungsprozesseinbezogen und am gesamten Bauprozess beteiligt – das ist leider bis heute keine Selbstverständlichkeit”, erklärt Schulleiterin Gudrun Laag. „Die erste Frage, die wir uns stellen mussten, war: Welche Visionen haben wir für unsere Schule als Lern-, Lebens- und Erlebnisraum? Auf dieser Basis haben wir gemeinsam mit der Agentur LernLandSchaft, die uns unser Schulträger als Unterstützung an die Seitegestellt hat, in vielen Workshops und über mehrere Monate pädagogische Raumfunktionsbücher erarbeitet. Im Ausschreibungsverfahren bildeten diese dann die wesentliche Grundlage für die architektonischen Planungen der zwei Standorte.“ Rund zwölf Monate verbrachten Schulträger, Schulleitung und die Bieter damit, die perfekte Astrid-Lindgren-Schule samt Berufsförderzentrum zu planen. In beiden Verfahren erhielt Goldbeck im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft den Zuschlag und konnte im Frühjahr 2022 – nach rund 20 Monaten Bauzeit – gleich zwei Schlüssel übergeben.

Die Besonderheit: Die Astrid-Lind-gren-Schule ist eine Förderschule mit dem Schwerpunkt „Geistige Ent-wicklung“. „Für unsere Schülerinnen und Schüler ist es besonders wichtig, Räume zu haben, die auch innerhalb des Klassenverbunds eine individuelle Differenzierung ermöglichen. Wir brauchen klassische Instruktionsräume, aber zugleich Rückzugsräume, in denen lautstärkeempfindliche Kinder in Ruhe arbeiten können. Da auch Bewegung und Begegnung eine wichtige Rolle spielen, haben wir Parallelklassen rund um Marktplätze angeordnet, die klassenübergreifend einen übersichtlichen Raum zum Spielen und Entspannen geben und uns gleichzeitig als verlängerter Lernraum dienen.“ Das, was Gudrun Laag beschreibt, nennen Schulpädagogik und Schularchitektur heute „Clusterschule“ oder „Klassenraum-Plus-Modell“. Im Kontrast zur Flurschule sollen es die offenen und multifunktionalen Raumstrukturen und speziellen Designelemente ermöglichen,unterschiedliche Lernformen zu integrieren – und das über alle Schulformen und Altersklassen hinweg. Diese Flexibilität, dessen ist sich unter anderem die Initiative „Partnership for 21st Century Learning“ sicher, fördere problemlösendes und kreatives Denken – Fähigkeiten, die wesentlich für das Leben und Arbeiten im 21. Jahrhundert seien, in dem Wissen eine geringe Halbwertzeit habe, Berufe sich ständig neu erfinden und das lebenslange Lernen wichtiger denn je sei.

 


Ein wichtiges Kriterium neuer Schulgebäude sei außerdem ihre Einbindung in die Umgebung. Zentrale Funktionsbereiche, zum Beispiel Sporthallen und Versammlungsräume, sollen im Idealfall von Anwohnenden, Vereinen und anderen Institutionen mitgenutzt werden. Bei der Astrid-Lindgren-Schule ging der partizipative Planungsprozess sogar noch ein Stück weiter, wie Gudrun Laag erklärt: „Ein Wasserschaden in unserem Altbau hat uns 2014 gezwungen, für unsere Berufspraxisstufe kurzfristig eine räumliche Alternative zu finden. Die haben wir am Lüttfeld-Berufskolleg auf dem Innovation Campus in Lemgo gefunden. In dieser Zeit haben wir einmal mehr festgestellt, wie bereichernd der Austausch für alle Beteiligten ist und wie viele tolle Kooperationsmöglichkeiten sich aus der räumlichen Nähe ergeben.“ Die Konsequenz: Mit dem Beschluss des Neubaus der Astrid-Lindgren-Schule, die bis dato in einem ländlichen Lemgoer Vorort zu Hause war, stand auch ein Standortwechsel vor der Tür. Der neue Hauptstandort wurde innerstädtisch gegenüber der Lemgoer Karla-Raveh-Gesamtschule realisiert. Funktionsräume, wie Werkstätten, Schwimmbad und Musikraum, werden selbstverständlich geteilt. Auf dem rund zwei Kilometer entfernten Innovation Campus wiederum entstand das Berufsförderzentrum mit Campus-Mensa, das zukünftig gemeinschaftlich von Schülerinnen und Schülern des Lüttfeld-Berufskollegs und der Berufspraxisstufe der Astrid-Lindgren-Schule genutzt wird.

 


Dass mit den beiden Standorten zwei architektonische und pädagogische Leuchttürme entstanden sind, hat für Manuela Kupsch, Leiterin des Eigenbetriebs Schulen des Kreises Lippe, mehrere Gründe: „Die Standortwahl und die Lernreviere bieten die besten Möglichkeiten für eine gelingende Inklusion durch Begegnung und erlauben es, dass die Schülerinnen und Schüler der Karla-Raveh-Gesamtschule, des Lüttfeld-Berufskollegs und der Astrid-Lindgren-Schule voneinander lernen. Dadurch finden gerade die Förderschülerinnen und -schüler so viel Freiraum wie möglich und so viel Schutzraum wie nötig. Diese Ge-meinschaftlichkeit und Partizipation wurden bereits im Planungs- und Bauprozess gelebt. Der Kreis Lippe als Schulträger setzt auf eine starke Partnerschaft zu seinen Schulen. Nur durch die frühzeitige, enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten konnten diese neuen und einmaligen pädagogischen und architektonischen Konzepte für gemeinsame Lehr-, Lern- und Begegnungsräume geschaffen werden.“

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